Illegale Bauarbeiten im Bergsturzgebiet von Goldau


Stören Bagger hier die Totenruhe?


GOLDAU SZ - Der Bergsturz von Goldau forderte 457 Menschenleben. Noch heute zeugen riesige Felsblöcke vom Unglück. An diesen machten sich Bauarbeiter jetzt illegal zu schaffen.


SonntagsBlick

Erwin Hammer (64) wuchs auf einem Bauernhof auf, fühlt sich wohl in der Natur. Besonders im Bergsturzgebiet von Arth-Goldau SZ, neben dem er wohnt. «Die grossen Felsen geben mir Energie und Kraft», sagt der Schlosser. «Sie haben eine grosse historische Bedeutung.»


Markant ragen die Brocken aus dem Boden. Sie sind stille Zeugen einer der schwersten Naturkatastrophen in der Schweizer Geschichte. Am 2. September 1806 lösten sich am Rossberg 40 Millionen Kubikmeter Gestein. Diese donnerten talwärts, zerstörten mehrere Dörfer, nahmen 457 Menschen das Leben.


Jedes Jahr halten die Goldauer eine Gedenkfeier ab, legen einen Kranz nieder. Als sich die Tragödie zum 200. Mal jährte, enthüllte Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz (67) ein Denkmal für die Verstorbenen. «Diese Geotopen sind wie Grabsteine», sagt Hammer. Das Gebiet sei an sich ein einziger grosser Friedhof. «Aber einigen Unternehmern ist das egal, solange sie nur ihre Gewerbefläche vergrössern können.» Unterstützt vom Schweizer Heimatschutz


Vor drei Jahren war auf dem Areal eine Deponie für Bauschutt geplant. Hammer konnte diese verhindern, indem er mit dem Bundesamt für Umwelt bis vor Verwaltungsgericht klagte.


Der Schweizer Heimatschutz erstellte damals ein Gutachten und hielt fest, die Felsblöcke seien «ungeschmälert» zu erhalten. «Sie sind Zeugen der maximalen Ausdehnung des Bergsturzgebietes, sodass ihnen eine grosse Bedeutung für die Ablesbarkeit des prägenden Ereignisses zukommt.» Das Gebiet ist zudem im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung eingetragen.


Dennoch will ein Transportunternehmen jetzt eine Halle für Verkehrsbusse errichten. Der Schweizer Heimatschutz legte dagegen Beschwerde beim Regierungsrat ein. Diese ist noch immer hängig. Doch das war den Bauarbeitern offenbar egal. Vor zehn Tagen fuhren sie mit den Baggern auf, machten sich an die Arbeit.


«Sie trugen den Boden ab und legten einen grossen Felsen frei, um ihn später offenbar zu sprengen», sagt Walter Eigel (72), Präsident des Heimatschutzes Schwyz. Er spricht von einer Nacht- und Nebelaktion – die Bauunternehmer hätten mit Sicherheit gewusst, dass eine Beschwerde hängig ist. «Sie wollten dieser zuvorkommen und uns vor vollendete Tatsachen stellen. Man hat wohl gehofft, dass die Arbeiten keinem auffallen.»


Doch Nachbar Erwin Hammer hatte an jenem Tag frei. Er war auf dem Weg zur Post, als er das tüchtige Treiben im geschützten Gebiet entdeckte. «Ich war schockiert, rief umgehend das Bauamt der Gemeinde an.» Die erwirkte noch am gleichen Tag einen sofortigen Baustopp, drohte den Verantwortlichen mit Busse oder Haft. Diese hielten sich an die Weisung, die Maschinen blieben seither abgeschaltet. Warum aber legten die Bagger los, obwohl eine Beschwerde hängig ist? Weder die Transportfirma noch deren Anwalt waren für eine Stellungnahme erreichbar.


Erwin Hammer ist froh, hat die Gemeinde so schnell reagiert. «Trotzdem ist der Schaden schon jetzt gross», sagt er. Die Oberfläche ist abgetragen, ein riesiger Felsbrocken steht freigelegt und «nackt» in der Gegend. «Bis alles wieder so verwachsen ist wie früher, dauert es Jahre.»



Als der Berg ins Tal donnerte


Der 2. September 1806 war ein «trauriger, jammervoller Tag», berichtete die «NZZ» damals. Am Abend lösten sich 40 Millionen Kubikmeter Nagelfuh-Gestein, stürzten ins Tal. Sie verteilten sich auf einer Fläche von 6 km², verschütteten die Dörfer Goldau, Röthen und Teile von Buosingen und Lauerz. 457 Menschen starben – die schwerste Naturkatastrophe in der Schweiz neben dem Erdbeben von Basel. Über 100 Häuser sowie 220 Ställe und Scheunen wurden zerstört. Die erste nationale Spendensammlung half später, die Region wieder aufzubauen.



Roland Gamp
SonntagsBlick, 02.05.2016